
Bernhard Heinzlmaier: Melancholie in der Großstadt – vor depressiven Wahlen in Wien
Der Wiener Wahlkampf ist eine traurige Veranstaltung. Stimmung kommt nicht auf, die Stadt liegt da, als wäre sie in Trance. Erhitzte Diskussionen finden in den Wohnzimmern, den Gaststätten und Kaffeehäusern und in den Werkskantinen der Großbetriebe nicht statt. Und die Einschaltquoten politischer Sendungen sind bestenfalls durchschnittlich. Offenbar hat das Wahlvolk die Lust an der Politik verloren. Aber wie ist es dazu gekommen? Versuch einer Analyse.
Vor den Wahlen gedämpfte Stimmung in Wien
In den Wiener Parteien herrschen Lustlosigkeit und abgeklärte Schicksalsergebenheit. Wahlsieger und Wahlverlierer stehen heute schon fest. Bei einer zu erwartenden niedrigen Wahlbeteiligung wird sich die ÖVP halbieren und die FPÖ verdreifachen. Alle anderen werden mehr oder weniger stagnieren. Spannung kommt in der Politik immer dann auf, wenn mit Überraschungen gerechnet werden kann. Aber in der von Christian Stocker eingeleiteten Ära der eisigen Einfalt ist jede Spontanität erstarrt und jede politische Emotion erfroren. Kaum jemand kann sich an Zeiten erinnern, in der eine politische Atmosphäre geherrscht hat, die dermaßen frei von Esprit, Kreativität, Geist, Leidenschaft und jeglicher Aufbruchsstimmung war. An der Spitze des Staates stehen nun einundzwanzig Staatsbeamte, von denen sich keiner zu bewegen wagt, wohl aus Angst, er könnte die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen. Niemand von ihnen scheint in die Verlegenheit kommen zu wollen, die Fragen von Journalisten beantworten zu müssen, da alle zusammen wissen, dass sie auf sie keine befriedigenden Antworten haben. Der Bundeskanzler ist einsilbig und wirkt dickhäutig, schwer zugänglich, wenig empfindsam. Der Kulturminister beschäftigt sich mit TV-Serien der Unterschichten, die Außenministerin flippt neurasthenisch in der Welt herum und wie der Infrastrukturminister heißt, weiß kein Mensch mehr. Peter Hanke ist im politischen Nirwana verschwunden, wo er schon als Wiener Finanzstadtrat überwiegend seine Zeit verbracht hat.
Auch das Volk ist wenig euphorisch
Die Stimmung der Machteliten widerspiegelt sich im Wahlvolk. Es ist der Politik gegenüber emotionslos und gleichgültig. Abgebrüht und routiniert beantwortet es am Telefon die Fragen der aufdringlichen Interviewer der Meinungsforschungsinstitute. Die Antworten sind immer die gleichen. Man steht der Politik distanziert gegenüber, versucht das geringste Übel zu wählen, erwartet sich persönlich wenig bis gar nichts und geht im Großen und Ganzen davon aus, dass alles so weitergehen wird wie bisher. Möglicherweise wird man diesmal in den tiefsten Abgründen der Krise landen, aber was soll man machen, man hat ja nichts zu sagen. Die Wählerschaft befindet sich im Zustand des Postoptimismus. Die wichtigste Eigenschaft in Krisenzeiten ist Elastizität. Man dehnt sich aus, wenn es die Umgebung zulässt und zieht sich zusammen, wenn der Druck steigt und die Räume eng werden. Und niemals ist man ehrlich, niemals sagt man, was man sich denkt. Die meisten machen geistesabwesend bei allem mit, was verlangt wird – nur um von den Moralisten und Staatsgouvernanten Ruhe zu haben. Denn das Einzige, was die Politik unserer Zeit noch mit Verve angeht, ist die moralische Kontrolle und Umerziehung des Bürgers. Zu allem anderen fehlt den Politikern der Mumm und die Kompetenz.
NGOs als staatsfinanzierte Umerziehungsmaschinen
Aber nicht einmal bei der Bürgerumerziehung legen Politiker selbst Hand an. Weil man sich die Hände nicht schmutzig machen will, werden sogenannte NGOs beauftragt, die großzügig aus Steuergeldern finanziert werden, das Volk umzuformen und zu überwachen. Willfährige Nichtregierungsorganisationen, meist von Angehörigen politischer Beutegemeinschaften betrieben, gibt es in der Zwischenzeit im Übermaß. Die einen von ihnen organisieren auf Zuruf Großdemos gegen rechts oder Lichterumzüge für „open borders“, die anderen gehen in die Schulen und bringen den Kindern Diversity, buntes Denken, Asylantenliebe oder die Lust an der Transition in ein anderes Geschlecht bei. Während die Eltern glauben, ihre Kinder in die Hände einer politisch neutralen Bildungsinstitution gegeben zu haben, wüten dort fanatische Umerzieher, wie die Leute von der sogenannten „Asylkoordination“. Vor Manipulation und Propaganda ist man heute nirgendwo mehr sicher. Und deshalb glaubt der Bürger vorsorglich gar nichts und niemandem mehr. Die höchste Stufe der Entfremdung von der Politik scheinen weite Teile des Volkes bereits erreicht zu haben. So wirklich identifizieren kann sich kaum mehr jemand mit einer Partei und viele sind sich, seit der Fall Nehammer bekannt wurde, sicher, dass die Politik aus postidealistischen Clans besteht, die überwiegend der eigene Vorteil umtreibt. Der sozialistische Finanzminister hat den Exkanzler per Dekret auf einen 31.000 Euro Job in der Europäischen Investitionsbank manövriert, obwohl dieser bar jeder Kompetenz im Banken- und Kreditwesen ist. Die Nehammer-Aktion hat dem Wahlvolk ein für alle Mal klargemacht, dass die Politik nur mehr sich selbst repräsentiert und nicht den Demos.
Bonjour Tristesse im Wiener Wahlkampf
Dass die politische Kultur am Ende ist, zeigt exemplarisch die Art und Weise, wie die Wiener Parteien ihre Wahlkampagnen gestalten. Allesamt sind sie nicht innovativ, langweilig bis zum Abwinken und grafisch, bildlich und textlich ohne jede Ambition gestaltet. Deshalb entfalten sie auch keine persuasive Wirksamkeit, das heißt, sie entwickeln keinen emotionalen Sog, der den Betrachter anziehen und überwältigen könnte. Alles, was man zu sehen bekommt, ist werbliche Abverkaufsware, der jedes inhaltliche Alleinstellungsmerkmal und jede ästhetische Besonderheit fehlt. Die Kampagne der SPÖ zum Beispiel könnte gut auch aus den 1990er Jahren stammen, denn seit dieser Zeit hat sich das Wahlkampfdesign der SPÖ kaum geändert. Es kommt im leblosen, entseelten ÖGB-Stil daher, so mittelmäßig dem Design nach, wie die Architektur der Wohnbauten in den Trabantensiedlungen der Flächenbezirke. Wie die Stadtrandarchitektur kann man die Plakate nur hinnehmen, aber keinesfalls kann man sie annehmen. Und die Slogans und Themen könnten auch in Lenins Werke und in der Mao-Bibel stehen. Der Lenin-Spruch „Lieber weniger, aber besser“ hätte gut in diese Plakatkultur der allgemeinen und abstrakten linken Stehsätze gepasst. Übel auch die Neos. Wer derart aufdringlich mit der Ehrlichkeit hausieren geht, hat meistens ein paar Leichen im Keller. Ehrlichkeit darf nicht deklamiert werden, sie muss aus der Praxis des Parteihandelns selbst hervorgehen. Und auch das Gegenteil von Vielfalt ist nicht Einfalt, sondern Homogenität. An der fehlt es in Österreich gerade, sonst würden wir nicht so viel über den mangelhaften Integrationswillen unserer Einwanderer ins Sozialsystem diskutieren müssen. Der Rest sind politische Chichi-Themen. Welcher normale Mensch interessiert sich für „Lichtpfade“ und die „Silicon-Seestadt“. Die Grünen stellen das Wort „Mut“ in den Mittelpunkt einer ästhetisch langweiligen Kampagne. Man weiß aber, dass mutig nur Idioten sind, die eine Gefahrensituation nicht richtig einzuschätzen vermögen. Im Krieg fallen die Mutigen immer als erste, weil sie ohne Sinn und Verstand vorneweg in den Kugelhagel stürmen. Erinnert etwas an Habecks grüne Transformation. Die deutsche Wirtschaft ist jetzt jedenfalls hin.
Leere Floskeln und nichts Konkretes zu den brennenden Fragen
Die Kampagne der ÖVP ist kaum der Rede wert, denn was auch immer sie tut, sie kann die massive Schädigung, die Nehammer und Brunner der Partei mit ihrem Budgetschwindel zugefügt haben, nicht mehr rückgängig machen. Und die FPÖ? Sie begnügt sich mit „More of the same“, indem sie die Kampagne der Bundespartei fast eins zu eins kopiert. Die ist nicht schlecht, aber für Wien hätte man sich doch etwas Spezielleres einfallen lassen können. Der Wiener Wahlkampf ist insgesamt eine Wählerabschreckungsaktion. Man findet insgesamt nur leere Floskeln, abstrakte Formeln und nichts Konkretes zu den brennenden Fragen, die die Bewohner der Stadt beschäftigen. In Wien sind dies die überbordende Migration, der Untergang der Wien-Kultur in einem bunten Tohuwabohu, der Niedergang des Schul- und Gesundheitssystems und die immer mehr zum Bandenkrieg ausartende Straßenkriminalität. Das alles wird kaum bis gar nicht thematisiert. Anstelle dessen Kampagnen, die sich mit Martin Heidegger folgend charakterisieren lassen: „Langeweile – wir meinen damit schleppend, öd, es regt nicht an und regt nicht auf, es gibt nichts her, hat uns nichts zu sagen, geht uns nicht an.“ Die Worte des Philosophen bringen die Ödnis der Selbstpräsentation der Wiener Politik-Szene genial auf den Punkt.
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