
Rumänien: Ein Wahltag, wie kein anderer
Der Rumäne George Simion liegt nach der gestrigen Präsidentschaftswahl mit 40,96 Prozent klar vorn – ein Triumph des Volkstribuns mit der Trikolore (Blau-Gelb-Rot) in der einen Hand und wohlgeformter Empörung in der anderen: „Respekt“, heißt sein Wahlslogan. Ein Kommentar von Alex Todericiu.

Die Wahlbeteiligung lag bei 53,21 Prozent. Seit 1989 ist der 38-Jährige erst der zweite Politiker, der bei einer Wahl die magische 40-Prozent-Marke überschreitet – ein Ergebnis, das Erinnerungen an Ion Iliescu weckt, jenen Altpräsidenten der 1990er Jahre, den Simion politisch stets attackiert hat. Nun hat er ihn wählerisch eingeholt – und überrundet.
Held der Diaspora: Rekordwerte für Simion im Ausland
Haiduk des Volkes wird Simion in der zahlreichen rumänischen Diaspora genannt. Sein Aufstieg verdankt sich nicht zuletzt seiner Landsleute außerhalb der Heimat. Mit 60,8 Prozent erreichte er dort ein Rekordergebnis bei fast einer Million abgegebener Stimmen. In Österreich erhielt er gar 68,76 Prozent der 30.390 abgegebenen Stimmen – ein Resultat, das alleine ausgereicht hätte, die Stichwahl in Bukarest überflüssig zu machen.
Stichwahl am 18. Mai: Simion gegen den leisen Rivalen Dan
Diese wird dennoch stattfinden – am 18. Mai 2025. Sein Gegner: Nicușor Dan, der 55-Jährige Bürgermeister von Bukarest und passionierter Freund der französischen Sprache und Gepflogenheiten. Er landete bei 20,99 Prozent, in der Diaspora erhielt er 247.082 Stimmen, in Österreich immerhin 21,66 Prozent.
Zwischen Pathos und Progressismus: Zwei Welten im politischen Duell
Ein politisches Duell kündigt sich an – zwischen souveränem Pathos und einem Progressismus, der sich noch hinter der Zurückhaltung des unabhängigen Kandidaten Dan verbirgt. Die rumänische Demokratie hat somit wie bei keiner anderen Wahl bewiesen Substanz zu besitzen, wird jedoch zunehmend vom Inszenierungsdrang ihrer Protagonisten überlagert.

Demokratie mit Schatten: Tote Wähler und alte Geister
Besitzt die Demokratie auch Tiefe? Millionen Verstorbene in Rumänien scheinen weiterhin ihr wohlverdientes Stimmrecht zu haben. Ein Umstand, den man je nach Perspektive als spirituelle Tiefe des rumänischen Wahlrechts oder als Einladung zur möglichen Wahlanfechtung deuten kann. Und bei solchen Feinheiten verstehen die Rumänen längst keinen Spaß mehr – spätestens seit den annullierten Präsidentschaftswahlen des Vorjahres.
Visa-Schock vor dem Urnengang: US-Botschaft sendet klares Signal
Nur zwei Tage vor der Wahl verkündete das US-Heimatschutzministerium, dass Rumänien aus dem Visa-Waiver-Programm ausgeschlossen werde – offiziell, um die „Sicherheit der Grenzen und der Migration“ zu gewährleisten. Ein deutliches Signal, punktgenau zum Urnengang: Die USA müssen sich nun offenbar vor den letzten heimatverbundenen Rentnern aus Pârscov schützen – einer bedrohlich stillen, winzigen Gemeinde im Kreis Buzău, südöstlich des Karpatenbogens, tief in der rumänischen Provinz. Denn wer weiß: Vielleicht nähert sich bald jemand mit einem Koffer Schwarzbrot, einer Flasche Țuică (zollpflichtiger Zwetschkenschnaps) und einer ordentlichen Portion Fernweh der nationalen Integrität am Potomac.

Post ins Jenseits: Simions Briefe an die Verstorbenen
Die Partei AUR, geführt von George Simion, verschickte zwei bis drei Millionen Wahlbriefe an rumänische Rentner. Viele der Empfänger waren längst verstorben – einige sogar seit Jahrzehnten. Immerhin ein Trost: Der rumänische Postdienst funktioniert offenbar bis ins Jenseits zuverlässig. Die Adressen stammten aus der staatlichen Datenbank der Wahlberechtigten – ein kleines Digitalisierungswunder.

Ein digitaler Totentanz: Staatsdaten und Wahlbriefe
Simion erklärte dazu: „Wir haben Zugang zu allen Daten der über 18-jährigen Bürger und an alle über 65 Briefe verschickt.“ Die Reaktionen folgten prompt: Familien meldeten Rückläufer für Angehörige, die seit Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilen. Simion brachte es auf den Punkt: „Sehr viele Tote im Wahlverzeichnis.“ Das Innenministerium in Bukraest wies diese Vorwürfe zwar pflichtschuldigst als „falsch“ zurück – doch der Schatten bleibt.
Washingtons neue Härte: Visafreiheit nur für echte Demokratien
Die neue amerikanische Außenpolitik setzt auf konditionierte Zuneigung. Visafreiheit gibt’s nur bei politisch einwandfreien Wahlverhältnissen. Das Prinzip Schengen ist passé und Washington meint: „Really democratic“, sonst kein Einlass.

Das Establishment verliert an Boden – Rumänien am Wendepunkt
Und nun? Die Regierung der drei Parteien, gestützt von beinahe 60 Prozent im Parlament, wirkt zunehmend orientierungslos. Ihr Kandidat Crin Antonescu hat es nicht einmal in die Stichwahl geschafft – eine stille, aber deutliche Korrektur durch die Wähler. Die Straßen feiern, das Vertrauen in das Bukarester Establishment zerbröselt – und der politische Kompass kreist.
Quo vadis, Rumänien?
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