Die einen erleben einen gewaltigen Aufbruch des Glaubens – die anderen verlieren ihn zwischen Sitzungszimmern und Strukturdebatten. Während in Afrika und Asien die Priesterseminare überquellen, kämpfen Pfarreien in Europa ums Überleben.

Pater Karl Wallner (62), Österreichs bekanntester Ordensmann und Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke, spricht im großen eXXpressTV-Interview Klartext: über den Zustand der Kirche, die Erwartungen an den nächsten Papst – und die Frage, ob Europa seinen Glauben verwaltet statt verkündet.

Seit 2016 ist Pater Karl Wallner Missio-Nationaldirektor. In dieser Funktion bereiste er die Kirche in aller Welt.Missio Österreich/Missio Österreich

„Die Kirche ist cool, weil sie anachronistisch ist“

„Durch die Kirche wirkt der, der vor 2000 Jahren gestorben ist“, sagt Pater Wallner im Gespräch mit exxpress-Redakteur Stefan Beig. Durch ihren Anachronismus sei die Kirche so „cool“. Sie sei, so der Zisterzienser aus Heiligenkreuz, „eine übernatürliche Wirklichkeit in einer natürlichen Hülle“.

Papst Franziskus habe dazu eingeladen, die Welt durch die göttliche Perspektive der Barmherzigkeit zu sehen. „Jesus ist nicht für die Gesunden gekommen, sondern für die Kranken.“

Franziskus und die vergessene Weltkirche

Was in Europa medial oft unterging: der globale Blick des Papstes. „Franziskus ist in Länder gereist, in denen Katholiken eine winzige Minderheit sind: In Bangladesch – 0,7 Prozent. In Bangui, der Hauptstadt eines der ärmsten Länder der Welt, hat er das Heilige Jahr der Barmherzigkeit eröffnet.“

Die Berufungswelle im Süden

Seit 2016 leitet Wallner Missio Österreich, die drittgrößte katholische Hilfsorganisation des Landes. Seine vielen Reisen haben seinen Blick auf die Weltkirche verändert – vor allem auf die Kraft der Berufungen: „In Nigeria war ich in einem Priesterseminar mit 500 Studenten. In Uganda platzen die Häuser aus allen Nähten. Wir kommen gar nicht nach, neue Seminare zu bauen!“

Pater Karl Wallner ist überzeugt: Heute kann Europa von der Kirche des Südens lernen.Missio Österreich/Missio Österreich

Fünf Kardinäle, die nun am Konklave teilnehmen, wurden als Seminaristen durch Priesterpatenschaften aus Österreich unterstützt. „26.000 Österreicher haben mittlerweile einen Priestersohn im Süden – von Myanmar bis Peru.“

Glaubenskrise in Europa: „Ein Geschäft mit leeren Regalen“

Demgegenüber steht eine ernüchternde Diagnose für Europa: „Wir sind eine schrumpfende Kirche. Wir haben einen dramatischen Glaubensverlust – und eine demografische Lawine.“

Im Gespräch mit exxpress-Redakteur Stefan BeigEXXPRESS/EXXPRESS

Pater Karl Wallner klagt: „Wir erwecken den Eindruck: Die Kirche ist ein Geschäft mit leeren Regalen. Statt über den Inhalt zu reden – über Erlösung, Gnade, Sinn und ewiges Leben – räumen wir nur noch die Regale um.“ Und: „Viele wissen gar nicht mehr, wer Jesus ist. Wir sind längst in einer Minderheitensituation – und tun noch immer so, als wären wir das Zentrum.“

Der nächste Papst: „Dynamisch, organisiert, mutig“

Was erwartet Wallner vom nächsten Pontifikat? „Ich wünsche mir einen Papst, der die Kirche dynamisiert – aber auch normalisiert.“

Seine Reise als Missio-Chef haben seinen Blick auf die Kirche verändert, bekennt Pater Karl Wallner.Missio Österreich/Missio Österreich

Franziskus sei „voller Originalität“ gewesen – doch das müsse nicht auf ewig fortgesetzt werden. Auch ein Papst dürfe – anders als Franziskus – in einem großen Auto fahren, sagt Wallner: „Er trägt Verantwortung – und braucht Sicherheit. Wir sollten nicht alles ideologisch aufladen.“

Sein wichtigster Wunsch: eine echte Reform des Vatikans – organisatorisch wie kommunikativ. „Die zentrale Frage ist: Verkündet die Kirche das Evangelium – oder verliert sie sich in der Verwaltung?“

„Ich habe beim Beten den Boden unter den Füßen verloren“ – Pater Wallner spricht auf eXXpressTV über seine Berufung zum Priester.EXXPRESS/EXXPRESS

TikTok, Liturgie, Berufung: Hoffnung auf eine junge Generation

Trotz aller Krisen sieht Wallner Hoffnung – auch bei jungen Menschen. „Die Generation Z ist spiritueller als viele glauben. Studien zeigen: Sie ist nur halb so atheistisch wie ihre Eltern.“ Diese Jugendlichen erreiche man nicht über kirchliche Medienberichte, sondern über TikToker und Influencer: „Die sind manchmal überdreht – aber sie bezeugen etwas. Und das wirkt.“

Für P. Karl Wallner ist klar: Nur eine verkündigende Kirche ist glaubwürdig – nicht eine, die sich im Verwalten verliert.Missio Österreich/Missio Österreich

Die Rückkehr zur Liturgie zurzeit sei kein Rückschritt: „Junge Menschen interessieren sich für Rituale, Gebet, schöne Liturgie. Das ist keine Rückwärtsgewandtheit – das ist Sehnsucht nach Tiefe.“

Berufung ist möglich – auch heute

Wallner wird persönlich. Seine Berufung begann mit 17 – durch ein einfaches, ehrliches Gebet. „Wenn ihr wissen wollt, ob es Gott gibt – bittet ihn!“ Er habe für Mathematiknoten gebetet – und mit „Sehr gut“ maturiert. „Für mich war das der größte Gottesbeweis.“

Und dann kam der Ruf zum Priestersein – unerwartet, aber klar. „Beim Beten habe ich den Boden unter den Füßen verloren. Ich wusste plötzlich: Gott will, dass ich Priester werde. Ich hatte Angst – aber auch eine Euphorie des Glücks.“ Heute meint er rückblickend: „Das Beste, das mir passieren konnte, war, Priester zu werden.“

Pater Karl Wallner OCist (62) ist Zisterziensermönch des Stiftes Heiligenkreuz und einer der bekanntesten Ordensmänner Österreichs. Geboren 1963 in Wien, aufgewachsen in Wampersdorf (NÖ), trat er 1982 in das Stift Heiligenkreuz ein und wurde 1988 zum Priester geweiht. Nach seinem Theologiestudium promovierte er „sub auspiciis praesidentis“ an der Universität Wien. Wallner war Professor für Dogmatik, ab 2007 Gründungsrektor der Hochschule Heiligenkreuz, und langjähriger Jugendseelsorger sowie Öffentlichkeitsverantwortlicher seines Ordens.

Seit 2016 ist er Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich (Missio). Er ist Autor zahlreicher theologischer Bücher und wurde auch durch die CD „Chant – Music for Paradise“ international bekannt.