
Brunner – Jetzt auch EVP-Vize! Hinter ihm das Budgetloch, vor ihm die EU-Karriere
Von der Rekord-Schuldenpolitik in Wien direkt in die Brüsseler Schaltzentrale: Ex-Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) ist nicht nur EU-Migrationskommissar, nun kürte ihn die EVP auch zum Vizepräsidenten. Seine Budgetprognosen lagen krachend daneben – doch in Brüssel zählt offenbar ein Lächeln mehr als das Rechnen.

Magnus Brunner (ÖVP) hat den nächsten Karrieresprung geschafft: Kaum zum EU-Kommissar für Inneres und Migration ernannt, wurde er nun auch in Valencia mit 356 von 546 Stimmen zum Vizepräsidenten der Europäischen Volkspartei (EVP) gewählt – als einer von zehn.
Die stärkste Parteifamilie Europas rückt damit ausgerechnet jenen Mann ins Rampenlicht, der als Finanzminister in Österreich ein Rekorddefizit von 4,7 Prozent samt deutlich gestiegener Schuldenquote hinterließ. Doch für eine Karriere in Brüssel ist das offenbar kein Hindernis.

„Ich freue mich, unsere Vision für ein wohlhabendes und sicheres Europa mitgestalten zu dürfen“, erklärte Brunner nach der Wahl. Hoffentlich wird diese Einschätzung realistischer ausfallen als seine Budgetprognosen.
Im innersten Machtzirkel der EVP
Mit dem neuen Amt rückt Brunner in den innersten EVP-Zirkel auf: Als Präsidiumsmitglied nimmt er künftig an allen Vorbereitungstreffen vor den EU-Gipfeln teil – eine Funktion, die auch sein Vorgänger Johannes Hahn (ÖVP) innehatte.

Vizepräsidenten des EU-Parlaments erhalten mehr Einfluss und zusätzliches Personal, etwa durch weitere Assistenten. Überdies steht ihnen eine monatliche Repräsentationszulage von etwa 800 bis 1.418 Euro zu – abhängig vom Umfang ihrer Aufgaben.
Stocker gratuliert – Europa applaudiert
ÖVP-Chef und Bundeskanzler Christian Stocker zeigte sich begeistert: „Mit seiner Erfahrung und seiner Expertise ist Brunner genau der Richtige, um mitzuhelfen, die Europäische Volkspartei in diesen stürmischen Zeiten voranzubringen.“
Man mag fragen: Welche Erfahrung meint er genau? Jene mit Budgetprognosen, die selbst der Fiskalrat nicht nachvollziehen konnte? Millionen Österreicher müssen zurzeit das Budget-Fiasko ausbaden, das Brunner hinterlassen hat.

Der Ex-Finanzminister wies jede Schuld von sich und verwies auf die unerwartet starke Rezession. Nun denn, werfen wir nochmals einen Blick zurück auf eine Kette aus Fehlprognosen, ignorierten Warnungen und späten Rechtfertigungen. Dann kann sich jeder selbst ein Urteil bilden. Begonnen hat alles im Oktober 2023.
Brunners Prognose für 2024: Optimismus trotz Gegenwind
Als Magnus Brunner (ÖVP) noch Finanzminister war, regierte er mit dem Taschenrechner in der einen und rosaroter Brille in der anderen Hand. Am 18. Oktober 2023 versprach er in seiner Budgetrede für 2024 ein überschaubares Defizit von 2,9 Prozent des BIP. Grundlage dieser Schönwetter-Prognose: ein erwartetes Wirtschaftswachstum von +1,2 Prozent, serviert von WIFO und IHS.

Brunner klang wie der Chefökonom der Zuversicht: „Mit diesem Budget machen wir Österreich fit für die Zukunft. Wir investieren so stark in die Zukunft wie noch nie.“ Der Haken: Diese Zahlen begannen schon ab dem Frühjahr 2024 zu wackeln – und wurden im Herbst völlig einkassiert.
Frühe Warnungen: Der Fiskalrat schlägt Alarm
Bereits am 17. April 2024 warnte der Fiskalrat unter Christoph Badelt: Das Defizit werde nicht bei 2,9 Prozent, sondern mindestens bei 3,4 Prozent liegen. Die Zahlen des Finanzministeriums seien deutlich zu optimistisch gerechnet.
Doch Brunner blieb gelassen – und konterte trotzig: „Alle Wirtschaftsforscher außer Badelt sehen uns noch unter den drei Prozent.“ Die Einschätzung des Fiskalrats sei – so Brunners Ministerium wörtlich – „nicht nachvollziehbar“. Später sollte sich herausstellen, dass selbst diese Warnung noch zu zurückhaltend war.

Im November 2024 legte der Fiskalrat nach – mit einer neuen Schätzung: 3,9 Prozent Defizit für 2024. Und Badelt legte offen nach: „Wir glauben einfach die Werte des Finanzministeriums nicht.“
Revidierte Wirtschaftsdaten: Die Prognosen kippen
Im Dezember 2024 revidierten auch WIFO und IHS ihre Konjunkturerwartungen dramatisch: Das angebliche Wachstum von +1,2 Prozent war Geschichte – stattdessen drohte ein Einbruch von –0,6 Prozent bis –1,0 Prozent.
Brunners Reaktion? „Die Revision der WIFO-Wirtschaftsprognosen hatte zur Folge, dass wir unsere Defizit-Prognose für 2024 von 2,9 Prozent Anfang Oktober auf 3,3 Prozent nach oben revidieren mussten.“ Doch die Realität wurde noch bitterer.

Tatsächliche Zahlen für 2024: Das Defizit explodiert
Im März 2025 platzte endgültig die Budget-Bombe: Das tatsächliche Defizit 2024 lag bei 4,7 Prozent des BIP – also fast doppelt so hoch (!) wie ursprünglich versprochen. Die Staatsschuldenquote kletterte auf 81,8 Prozent.
Brunner reagierte mit seinem Lieblingsargument: „Wir haben mit Zahlen gearbeitet, die uns von WIFO und IHS vorgelegt wurden.“ Prognose-Ungenauigkeit? Klar. Verantwortung? Fehlanzeige.

Brunners Prognose für 2025: Neuer Anlauf, alte Fehler
Als ob diese eine, gewaltige Fehleinschätzung nicht gereicht hätte: Auch für 2025 zeigte sich Magnus Brunner im September 2024 erneut zuversichtlich – und bemerkenswert lernresistent. Vor dem Budgetausschuss erklärte er: „Wir rechnen mit einem Defizit von rund 3 Prozent. Damit halten wir die Maastricht-Kriterien ein.“
Nach der Nationalratswahl, im Oktober 2024, wurde die Prognose vom Finanzministerium leicht nach oben korrigiert – auf 3,1 Prozent. Auch das, so Brunner, sei kein Trick, sondern lediglich: „Ein standardisierter Prozess.“
Fiskalrat bleibt skeptisch
Der Fiskalrat ließ sich nicht blenden. Im November 2024 prognostizierte er ein Defizit von 4,1 Prozent für 2025 – und erneuerte seine Fundamentalkritik am Zahlenwerk des Finanzministeriums. Dieses sei bei den Einnahmen zu optimistisch, bei den Ausgaben hingegen „irreal“, kritisierte Fiskalratspräsident Christoph Badelt. Das Ministerium interpretiere alle Spielräume in den Prognosen einseitig, was man nicht nachvollziehen könne.
Zudem sei die Budgetplanung der Regierung weder ausreichend belegt noch realistisch eingeschätzt. Kurz und deutlich: „Die für 2026 von der Regierung angepeilten 8,7 Milliarden Euro können die Budgetexperten nicht annähernd nachvollziehen. 4,9 Milliarden Euro erwartet man aus dem Sparpaket im kommenden Jahr.“
Tatsächliche Zahlen für 2025: Und wieder ein Riesen-Loch
Die bittere Wahrheit kam im April 2025 ans Licht: Markus Marterbauer (SPÖ), inzwischen Brunners Nachfolger, meldete ein erwartetes Defizit von 4,5 Prozent an die Statistik Austria. Ohne geplante Einsparungen würde es sogar mehr als 5 Prozent betragen. Kurz gesagt: Brunner lag – nach heutigem Wissensstand – um volle zwei Prozentpunkte daneben.

Seine Verteidigungslinie ist dieselbe wie für 2024: Man habe sich auf die Wirtschaftsprognosen von WIFO und IHS gestützt. Doch diese Behauptung hält einer Prüfung nicht stand. Die zu optimistischen Konjunkturerwartungen allein können eine derart gravierende Fehlprognose nicht annähernd erklären.
Kann Brunner nicht rechnen?
Marterbauer nannte neben der anhaltenden Rezession auch die gestiegenen Zinskosten als Gründe für das hohe Defizit – und vor allem: Ausgabenlasten aus der Brunner-Zeit.
In klarem Widerspruch zu Brunners Verteidigungslinie erklärte Johannes Holler, Senior Economist im Büro des Fiskalrats: Nur ein kleiner Teil des erwarteten Defizits sei auf die Rezession zurückzuführen – den Löwenanteil machten strukturelle Defizite aus. Für 2024 lag das strukturelle Defizit bei 3,1 Prozent von insgesamt 3,9 Prozent, für 2025 bei 3,5 Prozent von 4,1 Prozent.

Kurz: Die Hauptursachen für das Mega-Defizit liegen nicht in der Konjunktur, sondern in tieferliegenden strukturellen Problemen – die Brunner nicht behoben hat, vielleicht auch, weil er sie nicht erkannt hat.
Falsch kalkuliert – auch bei Ländern und Kassen
Ein weiterer schwerer Fehler in Brunners Budgetplanung: Das Finanzministerium ging 2024 davon aus, dass Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen Überschüsse erzielen würden – eine Annahme, die sich schnell als völlig unrealistisch herausstellte. Viele Bundesländer rutschten tief ins Minus, etwa durch gestiegene Löhne, Pflegekosten oder Investitionen.
Der Fiskalrat kritisierte mehrfach, dass das Gesamtdefizit des Staates systematisch kleingerechnet worden sei. Die Warnung war deutlich: „Das Finanzministerium geht von Überschüssen bei Ländern und Gemeinden aus, die nicht realistisch sind.“ Doch Brunner hielt damals an seiner optimistischen Darstellung fest – mit fatalen Folgen für die Glaubwürdigkeit der gesamten Budgetpolitik.

Zwei Jahre, zwei Defizite – null Verantwortung
Wir halten fest: Zwei Jahre, zwei klare Fehleinschätzungen, Milliardenlöcher im Budget – aber keine Einsicht. Brunner kalkulierte systematisch daneben, ignorierte Frühwarnungen, schob die Verantwortung auf externe Faktoren – und die Schuld auf Konjunkturschwankungen.
Die Quittung zahlen jetzt die Steuerzahler – und das mit Zinsen. Dass Magnus Brunner als Finanzminister krachend gescheitert ist, müssen sie ausbaden – nicht er. Als EU-Migrationskommissar, der künftig die Migrationsströme ordnen soll, muss er sich keiner Nationalratswahl mehr stellen. Und als EVP-Vize kann ihn auch niemand abwählen – außer seine Parteikollegen. Aber vielleicht sind ihm gerade jene aus Österreich für seine allzu optimistischen Berechnungen vor der Nationalratswahl sogar dankbar.
Kommentare