
Ludwigs Kuschelei mit Erdogan-Partei empört türkische Genossen
Wiens türkischstämmige Sozialdemokraten schäumen: Für seinen im Gefängnis sitzenden Istanbuler Amtskollegen Ekrem Imamoglu von der Schwesterpartei CHP hat Bürgermeister Michael Ludwig kein Wort der Solidarität übrig. Vielmehr hofiert er ausgerechnet Vertreter der AK-Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Es ist ein Parallelwahlkampf für eine Parallelgesellschaft: Die SPÖ von Bürgermeister Michael Ludwig unterschlägt in ihren ansonsten akribischen Aktivitätsprotokollen auf Facebook, Instagram und Co. Wahlkampfaktionen bei türkischen Vereinen. Mit gutem Grund: Der Fokus auf islamistisch-nationalistische Gruppen geht einher mit einer von manchen Genossen wohl als problematisch empfundenen Öffnung nach rechts bis rechtsextrem.
Feiern mit Rechtsextremen
Wie sehr die Brandmauer dabei eingerissen wird, offenbaren selbst die Sozial-Media-Kanäle der türkischstämmigen SPÖ-Gemeinderätin Aslihan Bazetemur nur unvollständig. Ihre Teilnahme an einem von der Avusturya Türk Federasyon (ATF) organisierten Ramadan-Fest wollte die Ludwig-Intima auf ihrem Facebook-Account nicht dokumentieren. Das blieb der ATF vorbehalten, dem Österreich-Ableger der mit Erdogans AKP koalierenden rechtsextremen Partei der Nationalen Bewegung (MHP).
Die SPÖ-Gemeinderätin ist auf den Fotos sechs bis neun zu sehen:
Diese gedachte am 4. April auf Facebook ihres an diesem Tag vor 28 Jahren verstorbenen Gründers Alparslan Türkes unter anderem mit diesen Worten: „Wir sind auf deinem Weg, wir folgen dir. Wir haben dich als Vorbild genommen und werden immer so weitermachen, unser Basbug (zu deutsch: Führer).“ Der Basbug, der im Zweiten Weltkrieg Hitlers Kontaktmann in der Türkei war und später in seinen Reden gern aus „Mein Kampf“ zitiert hatte, ist nicht nur Gründer der MHP, sondern auch der nationalistisch-islamischen „Grauen Wölfe“.
„Foto der Schande“
Nicht verwunderlich also, dass Bozatemur ihre Ramadan-Aktivitäten bei der ATF nicht an die große Glocke gehängt hat. Weniger zurückhaltend ist Ludwigs Genossin bei anderen Kontakten, wenngleich sie auch diese nur zielgruppengerecht auf Türkisch kommuniziert. Autochthone SPÖler könnte schließlich irritieren, wen sie da so trifft und vor allem: wen sie dem Bürgermeister auf die Gästeliste setzt. Es gibt freilich auch des Türkischen mächtige Linke, denen nicht entgeht, was Ludwig auf Social Media unter-, aber in türkischsprachigen Medien aufschlägt.
Zum Beispiel das „Foto der Schande im Wiener Ratshaus”, über das sich Ali Gedik am Wochenende echauffierte. Was den seit Jahrzehnten in Österreich lebenden Kurden in Rage brachte, war Ludwigs Empfang für die drei AKP-Bürgermeisterkollegen Halit Doğan aus Samsun, Yusuf Alemdar aus Sakarya und Emrah Özdemir aus Niğde am vorigen Freitag.
Auf dem Facebook-Account des AKP-Bürgermeisters Doğan ist das Treffen mit Ludwig in Wien festgehalten:
Auch AKP-Bürgermeister Yusuf Alemdar dokumentiert auf seinem Instagram-Account die Begegnung: (v.l.n.r.) AKP-Bürgermeister Dogan, SPÖ-Gemeinderätin Bozatemur, und die beiden Bürgermeister Almedar und Özdemir.
Zwei Wochen davor waren die AKP-Bürgermeister Osman Gözan (Yozgat-Sarıkaya) und Evren Dinçer (Aksaray) zum Iftar-Empfang der Stadt Wien eingeladen.
Kein Wort für Imamoglu
Zu diesem Zeitpunkt saß Ludwigs Istanbuler Amtskollege Imamoglu schon zwei Wochen im Gefängnis, was die Einladungspolitik der Wiener SPÖ noch seltsamer wirken lässt. Dies umso mehr, als Parteichef Andreas Babler die Festnahme des aussichtsreichen Erdogan-Herausforderers als „schweren Angriff auf die Demokratie“ verurteilt, die SPÖ im Wiener Gemeinderat dagegen eine ausdrückliche Verurteilung des Vorgehens der türkischen Justiz gegen den CHP-Mann verhindert hatte.

Gefahr für Demokratie
Dabei war Ludwig aus der türkischen Community sogar ausdrücklich zu einer Solidaritätsbekundung aufgerufen worden. In einem offenen Brief forderten „demokratische, freiheitsliebende Bürgerinnen und Bürger mit türkischen Wurzeln, die in Wien leben und Verantwortung für diese Stadt empfinden“ vom Bürgermeister klare Kante: „Zeigen Sie Solidarität mit Ihrer Schwesterpartei CHP in der Türkei und jenen, die dort für Demokratie und Freiheit kämpfen.“ Und: „Ziehen Sie klare Grenzen gegenüber AKP-nahen Organisationen.“
Außerdem fordern die Austro-Türken „disziplinarische Konsequenzen im Fall von Frau Aslihan Bozatemur“. Es dürfe „nicht sein, dass der legalistische politische Islam durch Verharmlosung und Integration in die Stadtpolitik legitimiert wird“. Die anonymisierten Autoren des Offenen Briefes warnen vor einer „demokratiepolitischen Gefahr“, wenn nämlich „Personen mit direkter Verbindung zu autoritären Regimen und deren Vorfeldorganisationen über politische Einflussnahme in Wien verfügen“.
Sogar in der roten Gemeinderatsfraktion regt sich Kritik: „Bozatemur war gegen die Unterstützungserklärung für İmamoğlu. Ich glaube, dass auch das bisherige Schweigen von Bürgermeister Ludwig auf ihren Einfluss zurückzuführen ist“, sagte SPÖ-Gemeinderätin Şafak Akçay gegenüber der türkischsprachigen Wiener Monatszeitung Yeni Vatan (Neue Heimat Zeitung).

Schweigen aus Angst
Ali Gedik wird noch deutlicher. Er verurteilt „das Umarmungsbild zwischen Michael Ludwig und der AKP aufs Schärfste – und das alles für ein paar tausend Vorzugsstimmen“.
Er ist einer der wenigen, die ihren Unmut öffentlich kundtun. Viele behalten ihren Zorn für sich. Denn öffentliche Kritik am SPÖ-Kurs käme in einem Affront gegen die AKP gleich. Und das könnte schwerwiegende Folgen haben. „Ich möchte nicht am Flughafen verhaftet werden“, begründet eine durchaus prominente Vertreterin der türkischen Community im Gespräch mit dem exxpress ihre Bitte um Anonymisierung. Sie besucht oft Angehörige in der Türkei und will weder sich noch ihre Familie in Gefahr bringen. „Ich ärgere mich so über die Wiener SPÖ. Es gibt Türkischstämmige, die sagen, dieses Mal wähle ich die SPÖ nicht“, sagt die junge Frau, die auch überzeugt ist: „In der Türkei würde Bozatemur AKP wählen.“
AKP-Maulwürfe in der SPÖ
Ein Austro-Türke, der seit 36 Jahren SPÖ-Mitglied ist, schreibt seinen „lieben Genossen“ einen Brief aus der früheren Heimat, wo er seit einem Monat die Verfolgung der CHP unmittelbar miterlebt. Und er tut das „mit Angst“, weshalb der exxpress den Namen des Autors ebenfalls nicht öffentlich macht: „Denn heute gibt es innerhalb der SPÖ Leute, die mit der AKP zusammenarbeiten. Wenn diese Leute meinen Namen an die AKP-Regierung weitergeben, könnte mir die Ausreise aus der Türkei verboten werden“, schreibt der Langzeit-Genosse. Und weiter: „Viele Bürgermeister in Europa protestieren gegen İmamoğlus Verhaftung. Am häufigsten werde ich gefragt, warum die Wiener SPÖ und der Wiener Bürgermeister Ludwig keine Solidaritätsbotschaft übermitteln.“
Glückliche AKP-Anhänger
Eine Antwort auf diese Frage gibt Adem Hüyük, Chefredakteur des austro-türkischen Nachrichtenportals Der Virgül. Viele türkischstämmige Sozialdemokraten seien empört über Ludwigs AKP-Kuschelei. Aber: „Die AKP-Anhänger sind darüber glücklich.“
Alles Wahltaktik
Das bekannte Wahlverhalten der Austro-Türken lässt Ludwigs Avancen an die AKP zumindest taktisch nachvollziehbar erscheinen. Bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren kam Amtsinhaber Erdogan in Österreich auf fast drei Viertel der Stimmen, während sich sein CHP-Herausforderer Celal Kilicdaroglu mit 26 Prozent begnügen musste. In der Türkei selbst hatte Erdogan nicht einmal die Hälfte der Stimmen bekommen, der CHP-Kandidat immerhin 45 Prozent.
Auch wenn das Wahlverhalten der bei türkischen Wahlen stimmberechtigten Expats in Österreich nicht eins zu eins auf die bei den Wiener Wahlen mitstimmenden türkischstämmigen Staatsbürger übertragbar ist, lässt das eine starke Tendenz zur AKP vermuten.
Hoffen auf Graue Wölfe
Bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen am 27. April werden 200.000 Wiener mit Migrationshintergrund stimmberechtigt sein. Die größte Gruppe unter ihnen stellen die Austro-Türken, die für die Sozialdemokraten schon lange Zielgruppe sind. Bei der Wahl vor fünf Jahren holte die völlig unbekannte SPÖ-Kandidatin Bozatemur das viertbeste Vorzugsstimmenergebnis. In der Türkei ist die Dame bis heute bekannter als in Wien, da sie Öffentlichkeitsarbeit vornehmlich in türkischen, nicht in heimischen Medien macht. Ihren Facebook-Account betreibt sie fast ausschließlich auf Türkisch.
Bei dieser Wahl geht es für die SPÖ um die Wurst: Ludwig muss um seine knappe Mehrheit mit den NEOS bangen. Zudem hat auch die FPÖ in der Person Leo Lugners im türkischen Wählerteich zu fischen begonnen. Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund könnten zum Zünglein an der Waage werden. Und mehr denn je gilt bei dieser Wien-Wahl für die SPÖ: Jede Stimme zählt. Auch die von den Grauen Wölfen…
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