Im Interview mit der Welt am Sonntag gesteht der ÖVP-Chef und Bundeskanzler Christian Stocker offen: „Mit Kickl zu verhandeln fiel mir schwer – ich hatte damals einen Teil meiner Reputation verloren.“

„Meine Reputation hat gelitten“

Stocker räumt ein, dass ihn die Gespräche mit FPÖ-Chef Herbert Kickl persönlich belastet haben: „Mir war klar, dass ich einige Menschen enttäuscht habe.“ Eine Brandmauer gegen die Freiheitlichen – so wie gegen die AfD in Deutschland lehnt der Bundeskanzler allerdings ab: Die ÖVP arbeite mit allen im Parlament vertretenen Parteien zusammen – auch mit der FPÖ. „Eine Brandmauer führt nicht notwendigerweise dazu, dass der Brand gelöscht wird oder sich nicht noch weiter ausbreitet.“

Kickl wollte „eine andere Republik“, sagt Stocker – er selbst sorgte sich um seinen Ruf. Gescheitert seien die Gespräche aber aus „staatspolitischer Verantwortung“.APA/AFP/ALEX HALADA

Koalition sei nicht möglich gewesen: Kickl „beharrte stur“

Nach dem Scheitern der ersten Koalitionsgespräche mit SPÖ und NEOS habe man nur zwei Optionen gehabt: Neuwahlen oder Gespräche mit dem Wahlsieger FPÖ. Letztere seien nötig gewesen, um Stillstand und Polarisierung zu vermeiden. Doch Kickl habe sich inhaltlich nicht bewegt: „Er beharrte stur auf seinen Positionen, die eine Verzwergung und eine Einengung unseres Landes bedeutet hätten.“ Deshalb habe sich Stocker aus „staatspolitischer Verantwortung“ gegen eine Koalition entschieden.

Hafenecker kontert: „ÖVP wollte nie wirklich verhandeln“

Die Antwort der FPÖ ließ nicht lange auf sich warten. Generalsekretär Christian Hafenecker warf Stocker „Realitätsverweigerung“ vor. Es sei die ÖVP-Politik, die Österreich international beschädige – etwa durch Mitläufertum in der EU bei Green Deal, Sanktionen und „Kriegstreiberei“. Kickl habe sich in den Verhandlungen nicht „verbogen“, sondern stehe zu seinem Wort gegenüber den Österreichern. Die ÖVP hingegen habe „die Beweglichkeit eines Hydranten“ gezeigt, so Hafenecker.

Angesichts des Wahlergebnisses sei es überdies „sonnenklar gewesen, wer seine Positionen hinterfragen muss – die ÖVP.“

FPÖ-General Hafenecker (Bild) kontert: Nicht Kickl müsse sich neu erfinden, sondern die ÖVP – die habe sich in den Verhandlungen „wie ein Hydrant“ bewegt.APA/EVA MANHART

Stockers Sparformel: Energie runter, Löhne nicht rauf, Pensionen aber schon

Auch auf die Politik der jetzigen Koalition kam Christian Stocker gegenüber der Welt am Sonntag zu sprechen. Im Inland wolle man Bürokratie- und Energiekosten senken, das faktische Pensionsantrittsalter anheben – und künftig Lohnabschlüsse, die über der Inflationsrate liegen, unterbinden. Ziel sei es, Bürger und Unternehmen spürbar zu entlasten.

Kritik an EU-Ausgaben, Forderung nach Reformen

Stocker sprach sich überdies für eine Reform der EU-Finanzen aus. Angesichts von 4,7 Prozent Defizit und 82 Prozent Schuldenquote sei Österreich nicht bereit, künftig noch mehr Geld an Brüssel zu überweisen. „Die EU muss ihren Haushalt straffen und komplett überarbeiten.“

Härtere Linie bei Migration – aber kein Rücknahmeautomatismus

Zur geplanten Zurückweisung illegaler Migranten an der deutsch-österreichischen Grenze meinte Stocker: Er sei grundsätzlich einverstanden mit einer härteren Migrationslinie Deutschlands – aber nur bei rechtskonformer Umsetzung. Die Zurückweisungen an der Grenze lehnt er – so wie Polen – ab. Stocker: „Wir werden niemand zurücknehmen, der außerhalb eines rechtmäßigen Verfahrens von einem Nachbarland zurückgewiesen wurde.“