Herr Dönmez, was macht den politischen Islam in Ihren Augen so gefährlich?

Der politische Islam wird oft verharmlost, weil er nicht wie der Dschihadismus offen mit Gewalt auftritt. Aber seine Agenda ist klar: Er will unsere Gesellschaft langfristig von innen heraus transformieren. Das beginnt bei der Sprache, geht über die Erziehung, die Kultur bis hin zum Vereinsleben oder dem Essen in der Schule. In Schulklassen erleben wir, dass muslimische Kinder unter Druck geraten, wenn sie nicht fasten. Mädchen ohne Kopftuch werden beschimpft. Das ist längst Alltag.

Vor 30 Jahren war es selbstverständlich, dass Schweinefleisch auf dem Speiseplan stand, Kinder am Schwimmunterricht teilnahmen und Mädchen auf Ausflüge mitfuhren. Heute wird das alles infrage gestellt. Warum? Weil islamistische Gruppen gezielt Sprachrohr-Funktion übernehmen.

Ursprünglich begann seine politische Karriere bei den Grünen: Efgani Dönmez gehört seit Jahrzehnten zu den profiliertesten Kritikern des politischen Islams.APA/HERBERT NEUBAUER

Viele Studien – aber keine Strategien

Wie verbreitet ist Ihrer Meinung nach der Islamismus unter Muslimen?

Ich spreche von etwa einem Drittel der Muslime in Österreich, die dem Lager des politischen Islams zuzurechnen sind. Diese Gruppen sind organisiert, ideologisch klar ausgerichtet und bestens vernetzt. Sie bereiten den Nährboden für Radikalisierung. Ich kenne keinen chinesischen Selbstmordattentäter, keinen serbischen IS-Kämpfer, keinen vietnamesischen Messerstecher, der Menschen wegen ihrer Religion angreift. Dieses Gewaltpotenzial stammt aus einem bestimmten ideologischen Milieu. Und wir müssen endlich offen darüber sprechen.

Und sie behaupten bis heute: Die Politik tue nichts dagegen?

Das Problembewusstsein ist deutlich gewachsen, vor 10, 15 Jahren wussten einige nicht einmal, was der politische Islam ist. Hier hat sich etwas geändert. Mittlerweile wurden Institutionen gegen den politischen Islam geschaffen. Doch statt konsequent zu handeln, herrscht Augenauswischerei. Diese Einrichtungen dienen oft nur dazu, Parteifreunde zu versorgen und Studien zu produzieren. Echte Experten? Fehlanzeige. Langfristige Strategien? Ebenfalls.

Dönmez kritisiert: Parteifreunde werden versorgt, Arbeitskreise geplant – doch gegen Islamismus wird nichts Konkretes unternommen.Volker Weihbold/Efgani Dönmez

„Hassprediger mit Visum – das passiert laufend“

Können Sie Beispiele nennen?

Die Regierung kündigt an, gegen Hassprediger vorzugehen. Gleichzeitig wird einer dieser Prediger von einer großen islamischen Organisation nach Österreich eingeladen – mit Visum. Das passiert regelmäßig – und unsere Behörden wissen teils nichts einmal. Der Nachrichtendienst DSN hat einige dieser Netzwerke – vor allem die kleineren – nicht einmal am Radar.

Warum?

Weil es an Sprachkompetenz, interkulturellem Wissen und Personal fehlt.

Überdies hofieren politische Parteien lieber Vertreter aus diesen Milieus hofieren, um an Stimmen zu kommen. Die SPÖ etwa hat sich bewusst für das Lager des politischen Islams entschieden. Man hofft auf Vorzugsstimmen. Dabei verliert man alle säkularen, integrationswilligen Migranten.

Keine Import-Imame, keine Lobby-Vereine, keine Hassprediger

Wie sieht die langfristige Gefahr aus?

In der Türkei sieht man, wohin das führt: Unter der AKP wurde die Demokratie entkernt, Medien und Justiz gleichgeschaltet, die Trennung von Religion und Staat aufgehoben. Diese Entwicklung droht auch Europa, wenn wir nicht gegensteuern. Noch sind Islamisten in der Minderheit, aber sie nutzen das Vereinsrecht, Parteien und Schulen, um Einfluss zu gewinnen.

Was müsste man tun?

Erstens: Keine Entsendung von Imamen oder Religionslehrern aus dem Ausland. Nur wer in Österreich studiert hat und unsere Werte teilt, darf unterrichten. Zweitens: Vereine, die als Lobbyorganisationen für autoritäre Regime agieren, müssen aufgelöst werden. Drittens: Hassprediger dürfen gar nicht erst einreisen. Und wenn ein Verein eine Veranstaltung mit einem bekannten Hassprediger organisiert, muss das Konsequenzen haben: Der Verein muss aufgelöst werden, die Verantwortlichen mit Aufenthaltsverbot belegt werden.

„Brauchen keine Studien: Die Gesetze sind schon da“

Ist das rechtlich überhaupt möglich?

Natürlich. Das Fremdenrecht ist eines der am häufigsten überarbeiteten Gesetze Österreichs. Wenn jemand die öffentliche Sicherheit gefährdet, darf er nicht einreisen. Punkt. Dass das trotzdem passiert, zeigt: Die Gesetze werden nicht angewendet, weil die Behörden oft nicht wissen, wen sie vor sich haben.

Was wäre dann die wichtigste politische Aufgabe?

Klare Haltung zeigen. Nicht alles tolerieren. Nicht jeden dulden. Und endlich sagen, was wir wollen – und was nicht. Die Gesetze sind da. Es fehlt nur der Mut, sie umzusetzen. Wir brauchen keine 300 neuen Arbeitskreise oder Studien. Wir wissen, was zu tun ist. Niemand traut sich nur, es umzusetzen.

„Es geht um eine Ideologie, nicht um Religion“

Dann würde der politische Islam anders behandelt als andere Religionen?

Ja – und das muss er auch, weil er nicht einfach nur eine Religion ist, sondern eine politische Ideologie. Wir haben dieses Problem nicht mit Christen, Juden oder Buddhisten. Aber wir haben es mit einem Islam, der in Österreich von extremistischen Netzwerken dominiert wird. Ich selbst bin Muslim – aber ich vertrete eine aufgeklärte, säkulare, humanistische Auslegung. Und genau darum geht es: Nicht um Religion, sondern um Ideologie.

​Efgani Dönmez (geboren 1976 in Kangal, Türkei) ist ein österreichischer Unternehmensberater und Politiker. Er war Mitglied des Bundesrates für die Grünen (2008–2015) und später ÖVP-Abgeordneter zum Nationalrat (2017–2019). Zuletzt war er parteilos.​

Dönmez engagiert sich seit Jahren in der Integrations- und Extremismusprävention. Er ist Gründer der Initiative „Stop Extremism“ und Autor des Buches „Das Verhalten zählt, nicht die Herkunft“ (2017). Als Kolumnist und Lektor an der Fachhochschule für Sozialarbeit setzt er sich für eine aufgeklärte, säkulare Auslegung des Islams ein. Für seine Verdienste erhielt er 2016 das Goldene Ehrenzeichen des Landes Oberösterreich.​