Während Moskau am 9. Mai seine jährliche Siegesparade feiert, treffen sich in Lemberg mehrere europäische Außenminister – nicht zu irgendeinem Gespräch, sondern zu einem sicherheitspolitisch brisanten Gipfel: dem der sogenannten „Koalition der Willigen“. Gegründet wurde sie Anfang 2025 von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premier Keir Starmer. Mittlerweile gehören der Gruppe 31 Staaten weltweit an – doch kein einziges offiziell neutrales Land wie Irland, Malta, die Schweiz oder – bislang? – Österreich. Sogar manche NATO-Staaten wie Italien, Spanien oder Portugal machen nicht mit.

Tusk, Selenskyj, Macron, Starmer und von der Leyen beim Gipfel der „Koalition der Willigen“ im Pariser Élysée-Palast.APA/AFP/POOL/Ludovic MARIN

Die „Koalition der Willigen“ arbeitet an Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach einem möglichen Waffenstillstand mit Russland. Es geht um Friedensmissionen, militärische Unterstützung und mögliche Stationierungen internationaler Truppen.

Neutral? Nicht mehr erkennbar

Mitten unter den Teilnehmern: Beate Meinl-Reisinger. Gemeinsam mit anderen EU-Amtskollegen wurde sie vom ukrainischen Außenminister Andrij Sybiha eingeladen, berichtet die „Krone“. Doch was hat sie dort verloren? Internationale und ukrainische Medien, darunter Korrespondent.net, berichten einhellig, dass Präsident Selenskyj am 9. Mai führende Vertreter der „Koalition der Willigen“ in Kiew empfangen will – es geht um Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Österreich jedoch gehört dieser Koalition offiziell gar nicht an.

Beate Meinl-Reisinger (r.) mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Andrij Sybiha (l.) – beim ihrem ersten, aber wohl nicht letzten Ukraine-Besuch.APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Dass ausgerechnet eine Ministerin eines neutralen Staates an einem solchen Treffen teilnimmt, wirft Fragen auf. Denn wer bei einer Koalition mitwirkt, deren Ziel eine militärisch gestützte Absicherung der Ukraine gegen Russland ist, stellt das österreichische Neutralitätsprinzip offen infrage.

Es ist bereits Meinl-Reisingers zweiter Ukraine-Besuch binnen zwei Monaten – bemerkenswert für ein Land, das sich der „immerwährenden Neutralität“ verpflichtet hat, wie Kanzler Christian Stocker (ÖVP) schon mehrmals bekräftigt hat.

Im Kampf „für die europäische Ordnung“

Schon kurz nach ihrer Angelobung Anfang März führte Meinl-Reisingers erste Auslandsreise direkt nach Kiew. Dort erklärte Österreichs neue Außenministerin: „Die Ukraine kämpft nicht nur für sich – sondern für die europäische Ordnung insgesamt.“

Brüssels „Vorzeige-Neutrale“ bei Selenskyj? Außenministerin Beate Meinl-Reisinger auf Solidaritätsbesuch Nummer zwei – ihre „aktive Neutralität“ wird langsam zur DauerreiseAPA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Sie betonte, Neutralität bedeute für sie nicht moralische Distanz, sondern einen Auftrag zu aktiver Friedens- und Sicherheitspolitik.

Mehr Brüssel und Kiew als Wien?

Die Ministerin tritt seither öffentlich vehement für die Ukraine ein. In einem Gespräch mit dem ukrainischen Außenminister Andrij Sybiha am 5. März bekräftigte sie: „Ich habe Österreichs volles Engagement für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine bekräftigt.“

Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) (r.) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (l.) bei einem Treffen in Kiew.APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Meinl-Reisinger verwies auf die 293 Millionen Euro an humanitärer und wirtschaftlicher Unterstützung, die Österreich bereits bereitgestellt hat, und unterstützt ausdrücklich einen EU-Beitritt der Ukraine: „Es gibt keine Fast Lane – aber der Weg in die EU steht offen.“

Friedensinitiativen, die Russland entgegenkommen könnten, ohne zuvor das Okay Selenskyjs einzuholen, lehnt Meinl-Reisinger ab: „Es kann keinen Frieden ohne die Zustimmung der Ukraine geben“, erklärte sie im April im Nationalrat. Beim EU-Außenministerrat legt sie nach: „Wir wollen einen Frieden, aber keinen Diktatfrieden.“

Front gegen Moskau – „Neutralität schützt dich da gar nicht“

Gleichzeitig verschärfte Meinl-Reisinger ihre Rhetorik gegenüber Russland. Auf Puls 24 erklärte sie Ende April: „Putin sagt ja ganz klar, es geht ihm um die europäische Sicherheitsarchitektur. Schon längst passiert ganz viel an hybrider Kriegsführung. Auch gegen Österreich. Das sehe ich als die viel größere Bedrohung: diese Fake-News-Kampagnen, Desinformation, Cyberattacken.“ Und: „Neutralität schützt dich da gar nicht.“

Bei Viktor Orbán (r.) war Meinl-Reisinger seit Amtsantritt noch nicht – Nähe zu Budapest sucht derzeit vor allem die FPÖ. Im Bild: Herbert Kickl (l.).APA/PHOTONEWS.AT/GEORGES SCHNEIDER

Auch im Ö1-Mittagsjournal sagte sie: „Russland führt seit langem einen hybriden Krieg gegen Europa – mit Cyberangriffen, Sabotage und massiven Desinformationskampagnen.“

Mehr noch: Die EU-Beistandsverpflichtung müsse auch für Österreich gelten: „Wir sind auch bereit, einen Beitrag zu leisten, die Beistandsverpflichtung gilt für Österreich.“

Wie als Ort für Gespräche? „Würden Putin verhaften“

Noch provokanter wurde sie bei der Frage, was sie bei einer Einreise Putins täte: „Wir würden ihn verhaften. Das ist so“, erklärte Meinl-Reisinger erst vor wenigen Tagen. „Es gibt aus gutem Grund einen Haftbefehl gegen ihn, aufgrund der Deportation von Tausenden von Kindern in russische Gebiete.“

Als Seitenhieb auf Viktor Orban folgte auch noch: „Wir sind nicht die Ungarn, die sagen: ‚Wir fühlen uns nicht an Recht gebunden.‘“ Gute Beziehungen zu Budapest scheinen der Außenministerin kein Anliegen zu sein.

Meinl-Reisingers Linie: Haltung statt Ausgleich – doch was bringt’s den Ukrainern, wenn der Krieg weiter tobt und kein Sieg in Sicht ist?APA/HELMUT FOHRINGER

Auch zur Diskussion um russische Vermögen äußerte sich Meinl-Reisinger unmissverständlich. Zur Verwendung eingefrorener russischer Gelder für den Wiederaufbau der Ukraine sagte sie in der Presse: „Ich begrüße das.“

Was bleibt von Österreichs Neutralität noch übrig?

Die zweite Reise in die Ukraine innerhalb weniger Wochen, diesmal sogar im Rahmen einer militärpolitischen Koalition, verbunden mit expliziter Parteinahme gegen Russland, wirft ernste Fragen auf: Wie viel Neutralität bleibt noch übrig, wenn die Außenministerin damit offen ein Bündnis unterstützt, das den Einsatz von Truppen prüft?

Lange ist es her, da wollte Österreich vermitteln. Heute fliegt eine Ministerin von Solidaritätsbesuch zu Solidaritätsbesuch. Sogar am Treffen der „Koalition der Willigen“ nimmt sie teil, obwohl Österreich dieser Koalition offiziell gar nicht angehört. Meinl-Reisinger agiert damit offensiver als manche NATO-Staaten.

Was ist die „Koalition der Willigen“ – und was hat Österreich dort verloren?

Wer hat die Koalition ins Leben gerufen?
Die „Koalition der Willigen“ wurde Anfang 2025 von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premier Keir Starmer gegründet. Ziel war es, europäische Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu organisieren – unabhängig von den USA.

Wer gehört zur Koalition der Willigen?
Rund 31 Staaten, darunter Großbritannien, Frankreich, Polen, Litauen, Kanada, Australien, Schweden, Luxemburg und Japan. Es geh darum, der Ukraine nach einem Waffenstillstand mit Russland glaubwürdige Sicherheitsgarantien zu bieten.

Wer gehört nicht dazu?
Offiziell neutrale Länder wie Irland, Malta und die Schweiz sind nicht beteiligt. Auch Länder wie Brasilien oder Südafrika, die geopolitische Eskalation vermeiden wollen, halten sich fern.

Welche EU-Staaten machen nicht mit?
Ungarn und die Slowakei lehnen die Teilnahme ab. Italien, Spanien und Portugal zeigen Zurückhaltung und setzen auf diplomatische Wege statt militärischer Präsenz.

Was ist das Ziel der Koalition?
Die Ukraine soll durch internationale Unterstützung dauerhaft gegen neue russische Angriffe abgesichert werden. Diskutiert werden Friedensmissionen, Militärhilfe und internationale Truppenstationierungen – eine Art „NATO-light“.

Seit wann gibt es die Koalition?
Sie wurde im Jänner 2025 gegründet. Das erste Treffen fand im März 2025 in Paris statt. Seitdem nimmt die Struktur Gestalt an.

Ist Österreich Mitglied?
Nein – offiziell nicht. Doch Außenministerin Beate Meinl-Reisinger nimmt aktiv an Treffen teil und unterstützt damit die Ziele der Koalition.

Verstößt das gegen die Neutralität?
Eine politische Beteiligung an einem sicherheitspolitischen Bündnis, das militärische Garantien vorbereitet, steht im Widerspruch zur klassischen österreichischen Neutralitätsdoktrin. Kritiker befürchten einen Neutralitätsbruch durch die Hintertür.